Kanzlei RA J. Melchior, 23966 Wismar

Ein ganz alltäglicher Fall ... ?

Dem 64-jährigen Mandanten wird vorgeworfen, auf einem Parkplatz einen PKW angefahren und sich sodann unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben, was der Mandant bestreitet. Die Staatsanwaltschaft bietet dennoch die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße von 300.- € an.

Nach Akteneinsicht dreiseitiger Schriftsatz des Verteidigers an die Staatsanwaltschaft, wo im Einzelnen dargelegt wird, weshalb von einem hinrechenden Taterdacht keinesfalls die Rede sein kann. Nicht nur wird der Beschuldigte von seiner Ehefrau und seinem Sohn entlastet, auch passen die von der Polizei festgestellten minimalen Schäden an den beiden angeblich beteiligten Fahrzeugen weitgehend nicht zueinander. Schließlich sind auch die Aussagen von zwei Unfallzeuginnen unergiebig. Daher bestünde kein Anlass, das Angebot zur Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung anzunehmen, vielmehr sei dieses mangels hinreichenden Tatverdachtes ohne Weiteres einzustellen.

Die Staatsanwaltschaft zeigt sich hiervon völlig unbeeindruckt, erhebt Anklage und beantragt die Eröffnung des Hauptverfahrens. Der Verteidiger beantragt, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen und legt nochmals in einem zweiseitigen Schriftsatz dar, weshalb zum einen insbesondere die Spuren an den PKWs weitgehend nicht übereinstimmen und zum anderen jedenfalls durch nichts belegt ist, dass der Beschuldigte die angebliche Kollision - wenn diese denn doch stattgefunden haben sollte - auch bemerkt hat, was zwingende Voraussetzung der Straftat ist. Vorsorglich beantragt er, zu beiden Punkten ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Das Gericht zeigt sich von beiden Schriftsätzen ebenfalls unbeeindruckt und beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens. Auf Nachfrage teilt es mit, über den Beweisantrag erst in der Hauptverhandlung am 22.o9.2005 entscheiden zu wollen.

Dort äußert der Angeklagte sich lediglich dahingehend, nicht zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort gewesen zu sein. Nun schlägt die Stunde des Richters J.: Des Deutschen liebstes Kind seien bekanntlich sein Auto und sein Schadensfreiheitsrabatt. Hier ginge es ja letztlich nur um einen Bagatellschaden. Es könne auch tatsächlich sein, dass der Angeklagte die Kollision nicht bemerkt habe. (!!) Ausführlich schildert der Richter dann, wie er selbst bei einem Fahrversuch einen anderen PKW erheblich verbeult hätte, ohne es zu bemerken. Wenn der Angeklagte also einräumen würde, doch am Tatort gewesen zu sein, käme eine Einstellung des Verfahrens auch ohne Geldauflage in Betracht. Seine Anwaltskosten (immerhin ca. 600.- €) müsse der Angeklagte jedoch selbst tragen.

Sollte er hiermit allerdings nicht einverstanden sein, müsse das von der Verteidigung beantragte Sachverständigengutachten eingeholt werden. Wenn sich daraus ergäbe, dass der Angeklagte die Kollision bemerkt hätte, würde er in einer weiteren Verhandlung verurteilt werden. In diesem Falle würde auch seine Rechtsschutzversicherung nicht eintreten und der Angeklagte hätte mit Kosten vom mehreren Tausend Euro zu rechnen, was er sich doch überlegen möge auch angesichts seines Alters und der Belastung durch eine Fortsetzung des Verfahrens.

Angeklagter und Verteidiger zeigen sich nun ihrerseits von diesem unverhohlenen Nötigungsversuch des Gerichts unbeeindruckt, was dieses sichtlich verärgert zur Kenntnis nimmt und daraufhin die zwei geladenen Unfallzeuginnen vernimmt (als Entlastungszeugen benannte Ehefrau und Sohn des Angeklagten waren pikanterweise nicht geladen). Die Aussagen dieser Zeuginnen sind - wie auch schon im Ermittlungsverfahren - ziemlich unpräzise. Die eine hat den Fahrer nur von hinten gesehen und zunächst auch das Kennzeichen verwechselt, die andere überhaupt nicht. Konsequenterweise konnten sie den Angeklagten auch nicht identifizieren, was vorherzusehen war.

Daraufhin schließt das Gericht die Beweisaufnahme. Die Staatsanwaltschaft beantragt nun, den Angeklagten freizusprechen, wenn auch betontermaßen nur aus Mangel an Beweisen. Die Verteidigung weist darauf hin, dass die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat durch nichts bewiesen ist. Das Gericht spricht den Angeklagten frei, allerdings auch mit dem Hinweis, davon überzeugt zu sein, dass sich jedenfalls der PKW des Angeklagten am Tatort befunden hätte, nur die Anwesenheit des Angeklagten sei nicht nachweisbar.


Anmerkung:

Die Staatsanwaltschaft darf nur dann Anklage erheben, wenn die Verurteilung des Beschuldigten deutlich wahrscheinlicher ist als ein Freispruch, anderenfalls hat sie das Verfahren einzustellen (§ 170 StPO). Entsprechende Voraussetzungen gelten für den vom Gericht zu erlassenden Eröffnungsbeschluss, § 174 StPO: „Ergibt sich kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so verwirft das Gericht den Antrag ..."

§ 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) kann nur vorsätzlich verwirklicht werden. Hat der Beschuldigte nicht bemerkt, dass es eine Kollision gegeben hat, kann er sich nicht wegen Unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht haben. Hält das Gericht es nun nach eigenen Worten aufgrund der minimalen Schäden für möglich, dass der Angeklagte die (angebliche) Kollision nicht realisiert hat, hätte es schon das Hauptverfahren nie eröffnen dürfen.

Dennoch erlässt es den Eröffnungsbeschluss und versucht dann in der Hauptverhandlung, den Angeklagten durch massiven Druck dazu zu bewegen, etwas zu gestehen, was er bisher bestritten hat und nach aller Voraussicht auch nie zu beweisen sein wird. Hätte der Angeklagte sich auf diesem Kuhhandel eingelassen, hätte er nicht nur die Kosten des Verfahrens zu tragen gehabt, sondern auch seinen Versicherungsschutz für den Unfallschaden (hier "nur" ca. 350.- €) verloren, im Ergebnis also ca. 1.200.- € zugesetzt.

Einen Kommentar erspart sich die Verteidigung an dieser Stelle ...

... verweist aber gerne auf den des Berliner Kollegen Carsten R. Hoenig sowie auf den des Düsseldorfer Kollegen Udo Vetter zu dieser Sache.

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